Heinz-Wilhelm Müller, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit
Agentur für Arbeit Cottbus

Interview des Monats"Lebenslanges Chillen kommt nicht in Frage"

Der Fachkräftebedarf in der Wirtschaft ist eines der zentralen Themen in der Lausitz. Wir sprachen darüber mit Heinz-Wilhelm Müller, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Cottbus.

DHB: Herr Müller, der Strukturwandel verschärft das Fachkräfteproblem in der Lausitz. Uns und dem Wirtschaftsministerium wird von Betrieben gemeldet, dass ihre Mitarbeiter abgeworben werden. Insbesondere die Deutsche Bahn und die LEAG spielen dabei die Hauptrolle. Im Tagesspiegel sagten Sie, „So funktioniert nun mal der Markt“…?

Müller: Ich möchte meine Aussage im Tagesspiegel ausdrücklich nicht dementieren. Ja, so funktioniert der Markt. Ich arbeite bei einem Arbeitgeber, bin vielleicht ganz zufrieden und dann kommt ein Angebot, fünf Euro mehr die Stunde und ich wechsle den Arbeitsplatz. Es gibt keine rechtliche Möglichkeit, dies zu verhindern. Ich kenne große Unternehmen in der Region. Sie wollen die Kleinen nicht kaputt machen. Sie haben einfach mehr Möglichkeiten. Sie zahlen in der Regel besser, sie begleiten die Beschäftigten auf andere Weise. Das alles führt dazu, dass sich viele bei ihnen bewerben.

Die einzige Möglichkeit, die kleine Betriebe haben, ist, gute Angebote an ihre Beschäftigten zu machen. Das meint: Geld, Kümmern, soziales Betriebsklima usw. Das alles befördert Klebeeffekte, die dennoch nicht verhindern werden, dass der eine oder andere Mitarbeiter das eigene Unternehmen verlässt.



DHB: In Mitteldeutschland hat sich eine „Fachkräfteallianz hallesaale*” aus Kammern, Agentur für Arbeit usw. gegründet. Ziel ist es, das Thema transparent anzugehen und dass sich die Akteure nicht gegenseitig die Fachkräfte abwerben. In Leipzig gab es Ähnliches bei der BMW-Ansiedlung. Wäre das auch ein Modell für die Lausitz?

Müller: In der Lausitz gibt es so ein formalisiertes Verfahren bisher nicht. Aber miteinander reden hilft immer. Wenn die Kammern und Wirtschaftsverbände das in die Hand nehmen und alle an einen Tisch bringen, wäre die Agentur für Arbeit natürlich dabei. Das stößt aber auch an Grenzen.  Jeder ist sich selbst der Nächste. Das gilt für die Großen – und auch für die Handwerker.



DHB: Die Transformation – so hieß es – bringt zusätzliche Arbeitsplätze ins Revier. Sie haben den besten Überblick: Wie sieht es aus mit Rückkehrern und „Nicht-Lausitzern“. Welche Rolle spielen sie am Arbeitsmarkt?

Müller: Wir haben eine klare Prioritätenliste, nach der wir vorgehen. Erstens kommen die Arbeitssuchenden in Frage, die bereits hier wohnen. Zweitens schauen wir in die Nachbaragenturen – insbesondere nach Berlin - und versuchen, durch Zuzug oder durch Pendeln Menschen dazu zu bewegen, in der Lausitz zu arbeiten. Das gelingt derzeit überschaubar.

Drittens versuchen wir über Verwandte und Freunde Personen anzusprechen, die vor 30 Jahren weggezogen sind. Das Potential ist theoretisch groß, praktisch wird es immer kleiner. Ein Mensch, der Anfang der 90er-Jahre weggezogen ist, hat sich mittlerweile so sozial vernetzt, dass sein Lebensmittelpunkt nicht mehr die Lausitz ist. Ich glaube nicht, dass Tausende oder Zehntausende zurückkommen werden.

Viertens: Zuzug aus anderen Bundesländern, aus Europa und der ganzen Welt. Die Zahl kann man nicht abschätzen. Meine Prognose ist, dass die Arbeitsmigranten eher in die Metropolregionen Berlin oder Rhein-Main gehen werden. Da muss die Lausitz als „krasse Gegend“ ganz besonders klappern, die Menschen nicht fernhalten, sondern mit einer Willkommenskultur anlocken.



DHB: Derzeit haben wir rund 17.000 Arbeitslose in Südbrandenburg. Wie viele davon sind auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelbar?

Müller: Wer arbeitslos gemeldet ist, hat immer die Voraussetzung, arbeitssuchend zu sein und kommt für den Arbeitsmarkt in Frage. Das geht nicht immer sofort. Es gibt Menschen, die haben keinen Schul- oder Ausbildungsabschluss, sind drogenkrank oder überschuldet oder sie haben schwere soziale und familiäre Bedingungen. Sie in Arbeit zu bringen, kann Wochen, Monate - oder eben auch Jahre dauern.



DHB: Der Bundesrat hat das neue Gesetz zur Weiterbildungsförderung gebilligt. Hilft das Ihnen?

Müller: Wir haben drei wesentliche Hindernisse, weshalb Menschen nicht in Arbeit kommen. Erstens die Motivation. Manche haben das Thema Arbeit in ihrem Leben ausgeblendet. Da helfen wir, es wieder einzublenden.

Zweitens gibt es Menschen, die keine qualifizierte Ausbildung haben. Wir haben Geld, Möglichkeiten und den festen Willen, jeden, der in Arbeit gebracht werden kann, dahingehend auch zu qualifizieren.

Drittens: ein Fünftel der Arbeitslosen in Südbrandenburg ist aus anderen Ländern. Da ist das Hindernis die Sprache. Da müssen wir auch ran. Wir selbst dürfen das nicht machen, aber das Bundesamt für Migration und andere Anbieter machen das.



DHB: Rund 1.150 Jugendliche in Südbrandenburg von 15 bis 25 Jahren sind derzeit arbeitslos gemeldet. Was kann und was tut die Agentur für Arbeit, um sie in Lohn und Brot zu bringen?

Müller: Es kann eigentlich nicht sein, dass es Jugendliche in einer Region mit über 7.000 Arbeitsplatzangeboten und Tausenden freien Lehrstellen gibt, die arbeitslos sind. Etliche Jugendliche sind derzeit in Maßnahmen, um sie auf die Arbeit vorzubereiten. Das wollen wir massiv ausweiten. Wir vermitteln ihnen zum Beispiel, dass ein Arbeitstag früh pünktlich beginnt und acht Stunden dauert. Sie können gerne dann vor der Cottbuser Stadthalle um 18 Uhr chillen, aber eben nicht um 13 Uhr. Das führt natürlich auch zu Konflikten, da machen wir uns oftmals unbeliebt. Aber Fakt ist: ein lebenslanges Chillen kommt nicht in Frage. Irgendwoher muss das Geld kommen und das kann nicht dauerhaft von Vater Staat sein.



DHB: Wie können kleine und mittlere Unternehmen unterstützt werden, Fachkräfte zu bekommen und was müssen die Betriebe aus ihrer Sicht selbst noch tun?

Müller: Der Grundgedanke ist doch, dass wir in Zukunft Menschen brauchen, die in den Unternehmen die Arbeit machen. In den wenigsten Fällen kann der Chef alles alleine machen. Fachkräfte bekommen die Betriebe nur, wenn sie junge Leute einstellen, sie durch ein gutes Betriebsklima an sich binden, sodass sie möglicherweise über Jahrzehnte erhalten bleiben.

Dazu gehört auch eine vernünftige Entlohnung. Ich verstehe, dass das Geld auch erwirtschaftet werden muss und den Kunden nicht unbegrenzt aufgeschlagen werden können. Es gibt aber immer noch Unternehmen aus dem Handwerk, die uns sagen »... aber wir zahlen doch Mindestlohn«. Um es deutlich zu sagen: Wer Mindestlohn zahlt, bekommt dafür wahrscheinlich nicht das Bundesverdienstkreuz. 

Hinzu kommen weiche Faktoren, die ich tatsächlich heute für harte Faktoren halte. Dazu gehört, sich um die Jugendlichen zu kümmern und ein angenehmes Betriebsklima zu schaffen. Ich denke, ein vernünftiger Ausgleich zwischen Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterzufriedenheit ist wichtig.

 Marktplatz der Bildung

Die Agentur für Arbeit Bautzen hat gemeinsam mit der Agentur für Arbeit Cottbus die Onlineplattform „Marktplatz der Bildung“ gestartet. 

Unternehmen veröffentlichen anonym ihre individuellen Weiterbildungsbedarfe auf dem webbasierten „Marktplatz der Bildung“ und interessierte Bildungsdienstleister unterbreiten zielgerichtet die zugeschnittenen Bildungsangebote. Die Agenturen für Arbeit Bautzen und Cottbus als gemeinsames Zukunftsteam Lausitz bringen dann Bedarf und Angebot zusammen.

Sie verstehen sich als Brückenbauer und unterstützen durch ein umfassendes Beratungsangebot rund um die berufliche Qualifizierung und die damit verbundenen Fördermöglichkeiten.



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